Als Stefan Ruppaners Buch zum Weg der Alemannenschule Wutöschingen („Das könnte Schule machen“) die Bestseller-Charts im Bereich Bildung stürmte, empfand ich zunächst wenig Neigung, es zu lesen, da ich die Entwicklung Schule, auch über Weggefährten wie die ehemaligen Lernbegleiter Johannes Zylka und Valentin Helling seit vielen Jahren verfolgt hatte. Stefan ist inzwischen pensioniert und wird nicht müde zu betonen, dass der „Unterricht aller Übel Anfang“ sei. Ich gebe zu: Die Reduzierung auf diesen Claim störte mich auch ein wenig.
Und trotzdem habe ich es gelesen, zum Glück. Denn ich habe neuen Mut gefasst. Oder anders gesagt: Ich habe einen neuen Anschub bekommen, mutiger zu sein, Schritte zu wagen, die das Lernen der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt. Wie stark einem der Wind ins Gesicht blasen kann, wenn man dies tut, davon schreibt Stefan Ruppaner zu Genüge in seinem Buch.
Es gibt ein Video mit dem Titel „Was heißt hier Bildung“ auf YouTube aus Zeiten der Pandemie (2021), in dem der bekannte Pädagoge und Filmemacher Reinhard Kahl („Treibhäuser der Zukunft“) mit einigen Protagonisten der Alemannenschule (Stefan Ruppaner, Valentin Helling, Schülerinnen und Schüler der Unter- und Oberstufe) sowie Prof. Olaf-Axel Burow über das spricht, was an dieser Schule anders läuft, warum es gut funktioniert und welche andere Schulen als Inspiration dienten. Zwischendurch gibt es Einspieler aus Schulbesuchen Kahls aus der Vergangenheit, die zur Arbeit an der Schule in Beziehung gesetzt werden.
Auch, wenn das Gespräch manchmal scheinbar etwas schleppend verläuft und die Verbindungsqualität nicht immer ideal ist, ist doch sehr spannend zu merken, was innovative Schulen immer wieder eint: Der Mut, Dinge anders zu machen, und zwar nicht, weil sie „neu“ sind, sondern weil man diese Ansätze für richtig hält und weil diese Werte (manchmal auch erst später) von der Schulgemeinschaft geteilt werden. Gleichzeitig wird Burow nicht müde zu betonen, wie stark diese Schulen damit praktisch automatisch von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu wirksamem Lernen ausgehen, auch wenn Ruppaner in diesem Video und auch in seinem Buch betont, dass er sich dessen gar nicht bewusst war.
Was führt also zu wirksamem Lernen?
- Der persönliche Händedruck zum Start in den Tag
- Die Hausschuhe und die gemütliche Atmosphäre
- Das regelmäßige persönliche Gespräch
- Die engmaschige Begleitung, wenn Kinder überfordert sind
- Mentorinnen und Mentoren („Lernhelfer“) aus dem ganzen Ort, die selbstverständlich mithelfen
- Die Erkenntnis, dass Schülerinnen und Schüler lernen wollen und Freiräume brauchen, dieses Lernen für sich zu gestalten
- Eine digitale Lernplattform, die ermöglicht, Material, Interesse, Lernweg und Begleitung zueinander zu bringen
- Die Gelassenheit beim Umgang mit (vermeintlichen) Stofflücken
- Der Schulleiter, der sich zum Schlafen in den Arbeitsbereich legt
- uvm.
Es geht also um nichts Überraschendes: Um Beziehung, um authentisches Lerninteresse, ums Gesehenwerden, um den Umgang miteinander und untereinander. Selbstverständlichkeiten, könnte man meinen.
Und jetzt denken wir noch einmal darüber nach, warum die Kinder in 90% der Klassen immer noch fragen müssen, ob sie aufs Klo gehen dürfen, weil der (für viele uninteressante) Stoff-Express sonst ohne sie weiterläuft und die Lehrkraft den Kontrollverlust fürchtet. Systemisch gesprochen haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Dass es andere Ansätze bereits längst gibt – das macht mir Mut.
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