Im Laufe der letzten Jahre habe ich es ab und zu erlebt, dass die Klassensprecher/innen, wenn die Lehrkraft den Raum verlassen musste oder wollte, den Auftrag erhielten, “Wache zu schieben”. Manchmal hat das ihre Position in der Klasse enorm geschwächt.

Das entsetzte mich jedes Mal auf verschiedenen Ebenen:

  1. Die Klasse war anscheinend nicht in der Lage, so weit ruhig und selbstständig (geschweige denn: motiviert) zu arbeiten, so dass ein Überwachungsregime etabliert werden sollte.
  2. Demokratisch gewählte Interessenvertreter/innen der Klasse werden in einen eklatanten Rollenkonflikt gebracht: Sie sind unterstützt von der Klasse, aber nun in dieser Rolle umfunktioniert für andere Zwecke.
  3. Die Aufgaben einer Schülervertretung werden so entwertet bzw. umgedeutet.

Es fühlt sich so grundfalsch an, dass es mir wichtig erscheint, zu betonen, dass eine Schule, die “vom Kind aus gedacht” wird, eine demokratisch denkende Schule sein sollte, eine Schule, die Kindern und Jugendlichen zuhört (in Gremien wie in informellen Settings), Beteiligung ermöglicht und Gestaltungsspielräume gibt.

Ein paar Elemente möchte ich (unsortiert) skizzieren:

  1. Gremien wie die SMV (oder SV) brauchen echte und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten. Die Abstimmung über den Milchautomat, die Nikolausfeier oder die Organisation einer Rosenaktion sind gut, aber nur nice-to-have.
  2. Wenn wichtige Entscheidungen der Schule anstehen, dann sollten Schülerinnen und Schüler grundsätzlich gehört werden. Wenn sie (noch) nicht in der Lage sind, ihren Interessen Gehör zu verschaffen, hat die Schule die Aufgabe, sie dazu zu befähigen.
  3. Klassensprecher/innen sind keine Handlanger der Lehrkräfte, sondern ihr demokratischer und kritischer Gegenpart. Sie sollten höchsten Respekt genießen und sich jederzeit bei der Klassenlehrkraft Gesprächstermine holen können. Wenn sie dieser Rolle nicht gerecht werden können, ist Verantwortungslernen gefragt. Speziell ausgebildete Lehrkräfte können ihnen dabei helfen. Auch Seminare zur Interessenvertretung und zur Kommunikation wären denkbar, um das Amt des/der Klassensprecher/in aufzuwerten.
  4. Schülersprecher/innen sollten sich in einem regelmäßigen Treffen mit der Schulleitung über die Belange der Schülerinnen und Schüler austauschen.
  5. Unterrichtsplanung sollte (je älter die Schülerinnen und Schüler, desto mehr) Bestandteil des Unterrichts selbst sein und im Sinne eines “Voice & Choice” (Deeper Learning, Anne Sliwka) Beteiligung und Neigungsdifferenzierung ermöglichen.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und es wird einmal mehr deutlich: Es geht um die Haltung zur Aufgabe der Klassensprecher/innen, und damit um die Haltung den Schülerinnen und Schülern gegenüber. Das wichtigste an der Schule sind die Schülerinnen und Schüler, nicht die Lehrerinnen und Lehrer. Die sind am zweitwichtigsten. Manchmal vergessen wir das und denken Schule “von der Lehrkraft aus” oder “von den Prüfungen aus”…

Sollte, müsste, könnte. Ohne konkretes Beispiel soll dieser Beitrag nicht enden. An meiner Schule wird nach dem Marchtaler Plan gelernt, der das Strukturelement “Freie Stillarbeit” beinhaltet. Für dieses eigenverantwortliche Arbeiten braucht es Struktur, Rituale, Ruhe, Freiheit und Rückzugsräume. Wie die Bereiche für diese Art zu arbeiten aussehen sollen, das hat ein Team an Lehrkräften zusammen mit den Schülerinnen und Schülern unserer 5. Klassen in einem längeren Prozess erarbeitet, in Visionen, in Bildern, in Empfindungen. Und letztlich dazu beigetragen, dass sich der Freiarbeitsbereich jetzt so darstellt, wie er es tut.

Dieser von Schülerinnen und Schülern intensiv mutgestaltete Bereich hat das Interesse der Älteren geweckt, die sich jetzt ebenfalls einbringen möchten. Vielleicht wird das ja ein Start in das “Gehört-werden-wollen” bzw. das “Gestalten-wollen.” Ich würde es mir sehr wünschen, für die Schülerinnen und Schüler, und letztlich für eine demokratische Gesellschaft.